Arbeitsteilung

Matrix und Co.: Müssen es immer komplexe Strukturen sein?

Führen Zielkonflikte in der Grundausrichtung einer Organisation zwangsläufig zu komplexen Strukturen wie Matrix und Co.? Eine Einladung, gewohnte Pfade zu verlassen.

Alle Wege führen nach Rom. Und doch nehmen wir Gewohnheitstiere fast immer die gleiche Route. Das letzte Mal, als ich auf meinem Nachhauseweg eine andere Strasse wählte, entdeckte ich ein Spezialitätengeschäft, das exzellente Frischpasta herstellt. Eine wahre Freude, seither gehe ich diesen Weg ab und an.


Auch beim Organisieren und Reorganisieren vergeben wir uns überraschende und höchst effektive Gestaltungsmöglichkeiten, wenn wir nur an die klassischen organisatorischen Handlungsdimensionen denken. Machen wir doch einmal „think outside the box“ und überlegen uns, was von der Führung stark in den Vordergrund gestellte Schwerpunkthemen zu einer effektiven Organisation beitragen können.

Die Herausforderung
Was meine ich damit? Wenn wir eine kleine oder grosse Einheit organisieren oder reorganisieren, ist eine der ersten Fragen, die sich stellt, diejenige nach der passenden Grundausrichtung in der Arbeitsteilung: Worauf soll sich die Einheit mithilfe der Organisation hauptsächlich fokussieren, damit sie ihre Ziele am besten erreicht? Sind es die Funktionen wie beispielsweise die Produktion oder der Vertrieb? Sind es Produkt- oder Dienstleistungskategorien wie Prozessautomation und Energietechniksysteme? Ist es eine bestimmte Geografie, in der die Einheit tätig ist, z. B. Region West, Mitte und Ost? Sind es bestimmte Marktsegmente bzw. Kundenkategorien wie Privat- und Firmenkunden?

Jede und jeder, der schon mehrmals in dieser Diskussion dabei war, weiss, dass diese scheinbar banale Frage sehr oft zu Zielkonflikten führt: Die Prioritätensetzung auf eine Kernausrichtung fordert Mut zum Fokus und damit gleichzeitig Verzicht. Das fällt uns nicht selten schwer. Zusätzlich sind die Ansprüche aus der relevanten Strategie an die Organisation meist auch vielfältig bzw. mehrdimensional.

Organisatorische Lösung: Hybride Strukturen? Eine Matrix? Übergelagerte Sekundärstrukturen oder ein Netzwerk? Darf es noch komplexer sein? Wie wär’s denn mit einem Tensor? Mir graut… Selbstverständlich gibt es gute Gründe und Situationen, in denen solche Lösungen absolut berechtigt sind. Doch genau hier wollen wir über den Tellerrand schauen. Denn Matrix und Co. müssen überhaupt nicht die zwangsläufige Antwort auf Zielkonflikte in der Grundausrichtung einer Organisation sein.

Das Beispiel
Auf den Geschmack gebracht hat mich ein Beitrag von Peter Löscher, dem CEO der Siemens AG mit seinem kürzlich erschienenen Artikel in der Harvard Business Review. Dort erläutert er wie es bei seinem Eintritt im 2007 gelang, den damaligen Bestechungsskandal bei Siemens zu nutzen, um die Unternehmung tiefgreifend zu verändern. Dabei wurde mit einem starken Fokus auf Vereinfachung, Abbau von Koordinationskosten und Stärkung der Handlungsfähigkeit auch die Organisation auf vielen Ebenen umgebaut: Eine Reorganisation, die von der Zusammensetzung und Funktionsweise der Geschäftsleitung des Konzerns über die Gruppierung der Länderorganisation bis in die Länderorganisationen hinein Auswirkungen hatte.

Abbildung Beitrag Nr 1

Die Konzernleitung reflektierte in ihrer neuen Besetzung die Kerngeschäfte (Sektoren Energie, Gesundheitswesen, Industrie, mittlerweile ergänzt um die Division Infrastruktur & Städte). Demgegenüber ist auf Stufe Länder im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit durch Anpassung an lokale Gegebenheiten an der geografischen Ausrichtung der Organisation festgehalten worden. Allerdings wurde die Gruppierung der Länder von 70 Cluster auf 20 Cluster vereinfacht (später erfolgte sogar eine Reduktion auf 14 Cluster). Zudem wurden die Aktivitäten in den Länderorganisationen stärker vereinheitlicht. Aufgrund der schieren Grösse des Konzerns und der globalen Präsenz ist dies immer noch eine anspruchsvolle Organisation, die den Fokus auf höchster Ebene auf Geschäfte und auf der nächsten Stufe auf Geografie legt.
Soweit, so gut. Inspiriert haben mich aber insbesondere die anschliessenden Ausführungen von Peter Löscher zum Thema Kundenorientierung. Im Sinne der primären Ausrichtung der Organisation war und ist diese ja nun nicht in der Struktur verankert. Und der CEO wollte Siemens mehr auf Kundenorientierung trimmen. Was tun?

Die erste getroffene Massnahme entspricht einer klassisch-organisatorischen Arbeitszuteilung: Traditionell haben die Kunden von Siemens ihre Beziehungen zu den Länderorganisationen. Hier wurde neu die Verantwortung für die weltweit ca. 100 Key Accounts den Mitgliedern der Konzernleitung zugeordnet: Neu ist jedes Konzernleitungsmitglied für ca. 12 Key Accounts persönlich zuständig. Dies war dem CEO aber noch zu wenig, da sich dadurch nur beschränkt Breitenwirkung in der Organisation ergeben würde. Und Peter Löscher wollte ausdrücklich, dass die ganze Unternehmung begreifen sollte, dass die Kunden bei Siemens der Hauptfokus sind.

Seine zweite entsprechende Massnahme hat mich in Ihrer Einfachheit und Wirksamkeit begeistert. Für das jährliche Meeting der 600 bis 700 obersten Führungskräfte hat er im Vorfeld aus Outlook herausdestilliert, wie viel ihrer Zeit alle Divisionsleiter und die Konzernleitungsmitglieder im Vorjahr bei Kunden verbracht hatten. Die Rangfolge wurde am Meeting aufgelegt, mit Angabe der Namen. Die Verteilung entsprach einer klassischen Normalverteilung, wobei Peter Löscher selber mit 50% seiner Zeit bei Kunden die Nummer 1 war. Seine Message dazu war: Dies ist kein gutes Zeichen, denn die Geschäftsverantwortlichen sollten mehr bei den Kunden sein als der CEO. Diese Kurve ist seither jedes Jahr aufgelegt worden, mit dem Effekt, dass das Top Management heute viel mehr Zeit bei den Kunden verbringt und Peter Löscher nicht mehr Nummer 1 ist.

Die Erkenntnis
Was lernen wir daraus? Ein aus der Strategie bzw. aus dem Geschäft heraus als zentral identifiziertes Thema für die Organisation muss nicht immer gleich als Prinzip der Arbeitsteilung zur Gruppierung der Aktivitäten umgesetzt werden. Vielmehr verfügt die Führung über starke Stellhebel, um das Thema in der Umsetzung in die Einheit hineinzutragen. Insbesondere das Setzen von Schwerpunktthemen ermöglicht es, Prioritäten klar zu machen und die Organisationseinheit zusätzlich zu fokussieren. So kann es gelingen, auch mehrdimensionalen Ansprüchen an die Organisation gerecht zu werden und Zielkonflikte zu vermeiden, ohne zusätzliche organisatorische Komplexität aufzubauen.
Voraussetzung ist allerdings, dass die Führungsverantwortlichen dies auch wollen. Sie müssen bereit sein, konkrete Massnahmen wie das beschriebene „Agenda-Setting“ zu ergreifen. Nur so lässt sich ein Schwerpunktthema umsetzen. Denn die Grundstruktur zwingt die Einheit ja im Fokus eben genau wie bei Siemens beispielsweise „nur“ auf die Kerngeschäfte und die Geografie, aber nicht zwingend zusätzlich auf das zentrale Thema Kunden.
Nun können wir uns fragen, was uns dies als Organisierende denn genau angeht, wenn wir nicht selber Teil des Managements sind. Ich behaupte: Eine ganze Menge! Unser Auftrag ist es, unser Wissen und unsere Erfahrung einzubringen, um passend zur Situation die jeweils besten Lösungen für eine effektive und effiziente Organisation zu erarbeiten und umzusetzen.

Was geht mich das an? Und ist die Idee auch in kleineren Einheiten umsetzbar?
Mehr zu diesem Thema, was uns das angeht und insbesondere auch zur Frage des Anwendungsbereiches (Siemens ist einer der grössten Konzerne überhaupt: Lässt sich die Idee auch in kleineren und kleinen Einheiten umsetzen?) folgt in einem kommenden Blog-Beitrag.

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